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Rassismuskritische Medizin – Rassismus im Gesundheitswesen
Workshoptag am 29.10.2022
Interprofessioneller Workshop zu Rassismus in der Gesundheitsversorgung mit Shreyasi Bhattacharya und Mai Ahmed
Professionalität und Alltagsrassismus – wie passt das zusammen? Gar nicht.
Obwohl die Gesundheitsversorgung denjenigen Menschen, die als Patient:in in eine Praxis oder ein Krankenhaus kommen, Sicherheit und ein Gefühl des Aufgehobenseins vermitteln soll, sind die Erfahrungen vieler ganz anders. Bei einer Umfrage in Großbritannien unter 3.500 schwarzen Frauen, die schwanger waren und Kinder im Krankenhaus zur Welt brachten, berichteten 42 Prozent von Rassismus im Zusammenhang mit ihrer Behandlung.
Beim Afrozensus 2020, der größten jemals durchgeführten Befragung unter Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen in Deutschland, gaben zwei Drittel der Befragten zu Anti-Schwarzem Rassismus an, ihre Ärzt:in nehme ihre Beschwerden nicht ernst. Mit fatalen Folgen: Viele Menschen verzichten in Anbetracht solcher Erfahrungen auf ärztliche Versorgung. Vor dem Hintergrund des ärztlichen und pflegerischen Berufsethos ist das eine Entwicklung, die es unbedingt zu verhindern gilt.
Aber nicht nur Patient:innen, die aufgrund von z.B. Aussehen, Herkunft, Religion, Sprache oder ihres Namens als anders gelesen werden, sind in der Gesundheitsversorgung von Rassismus betroffen. Auch Gesundheitspersonal sieht sich mit Rassismus in der Arbeit mit Patient:innen oder Kolleg:innen konfrontiert. Pflegende sind dem besonders ausgesetzt.
Für die Welt gilt: Die globale Gesundheitsarchitektur ist geprägt von Zersplitterung und Ungleichheiten. Zersplitterung herrscht auf der institutionellen Ebene ebenso wie mit Blick auf Ziele und Grundsätze, die die politischen Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse von „globaler Gesundheit“ anleiten sollten.
Aktuell erscheinen die meisten Krankheiten technisch bekämpfbar und „Gesundheit für alle“ machbar, doch herrschen nach wie vor große Gefälle im Zugang zu Gesundheitssystemen und auseinanderdriftende Gesundheitssituationen vor: Sie sind mehr denn je Ausdruck von struktureller Ungleichheit.
Weil ein multikultureller Alltag weder in der Pflegeausbildung noch im Medizinstudium abgebildet ist, haben Auszubildende für Pflegefachberufe des Pius Hospital Oldenburg und Kritische Mediziner:innen der Uni Oldenburg zwei Referentinnen eingeladen, die sich u.a. für rassismuskritische Räume einsetzen und über Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen aufklären:
- Mai Ahmed, Pflegeschülerin in Langenfeld (NRW) im dritten Lehrjahr, engagiert sich für einen konstruktiven, kritischen Austausch in der Pflege zum Thema Rassismus.
- Shreyasi Bhattacharya, Medizinstudentin in Köln, setzt sich für Antirassismus in der medizinischen Ausbildung ein. Ihr Ziel ist es, durch Bildung und Netzwerke Diversitätssensibilität in universitären Strukturen und innerhalb des Curriculums zu erreichen.Letztes Jahr hat sie einen TEDx Talk zum Thema Rassismus in der Medizin gehalten | Shreyasi Bhattacharya bei TEDx
Die Botschaft von Mai Ahmed und Shreyasi Bhattacharya an die Teilnehmenden des Workshops ist klar: Bestimmt mein Aussehen die Qualität meiner medizinischen Behandlung? Eindeutige Antwort: ja. Dies muss sich ändern. Mediziner:innen und Pflegefachkräfte müssen in der Lage sein, sich zu fragen, treffe ich gerade eine klinische Entscheidung mit einem (un-) bewussten rassistischen Vorurteil? Auch an diesem Punkt versagt die Gesundheitspolitik in Deutschland. Es fehlt an Zeit, die die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen im Umgang mit Patient:innen benötigen, Zeit, die sie brauchen für Beobachtungen und kollegialen Austausch, Zeit für Fortbildungen, Zeit auch für Verantwortliche.
Shreyasi Bhattacharya mahnte an, dass ein Universalgelehrter wie Rudolf Virchow für die Berliner Charité nach wie vor eine „wichtige und prägende Identifikationsfigur“ ist, trotz seiner Überheblichkeit und dem rassistischen Gehalt seines Tuns (u.a. Untersuchungen an Völkerschauteilnehmer:innen). Erinnert sei an dieser Stelle auch an Robert Koch, den Namensgeber der zentralen Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und Krankheitsprävention. Koch ist durch seine Versuche an Menschen in Afrika zur Schlafkrankheit verantwortlich für unzählige Tote. Mai Ahmed und Shreyasi Bhattacharya sprechen sich für mehr Diversität im Gesundheitswesen aus. Eine kolonialgeschichtliche Aufklärung wäre dabei hilfreich.
Der von Studierenden und Auszubildenden gemeinsam konzipierte Workshop schloss ein Lücke. Das Thema bleibt wichtig und bedarf der weiteren Ausarbeitung, weil in Deutschland immer mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft behandelt werden müssen und weil Ärzt:innen und Pflegende, die hier ausgebildet werden, in aller Welt im Einsatz sind. Studierende und Auszubildende, die aus dem globalen Süden zur Aus- und Fortbildung nach Deutschland kommen, sollten mit dem nötigen Fachwissen in ihre Herkunftsländer zurückgehen können. Nicht zuletzt sollte ein globaler Blick auf Gesundheit ein selbstverständlicher Beitrag zu Chancengerechtigkeit in Bezug auf Gesundheit und Wohlergehen weltweit sein.
Alle Workshoptage im Überblick
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Organisation des Projektes
Werkstatt Zukunft in Kooperation mit...
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... und Auszubildende der Schule für Pflegefachberufe am Pius Hospital in Oldenburg | Website
Förderer unserer Projekte zu Sozialer Gerechtigkeit
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...und durch die Niedersächsische Bingo-Umweltstiftung | Website
Werkstatt Zukunft in Kooperation mit den Kritischen Mediziner*innen Oldenburg, der Pflegeschule des Pius Hospitals, sowie mit Oldenburg eins und weiteren Bürgersendern.