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„Ich habe einen Traum“ –
Was Emma und David mit Martin Luther King verbindet
Andreas Büttner – Ostern 2018
Am 4. April 1968 wurde der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King von einem fanatischen Rassisten erschossen. Das ist jetzt 50 Jahre her. Mit seinem Namen untrennbar verbunden ist die Rede, die er beim „Marsch auf Washington“ im Jahr 1963 gehalten hat: „Ich habe einen Traum“ – und dieser Traum ist, das alle Menschen gleiche Rechte haben, dass die Kinder ehemaliger Sklaven und die Kinder ehemaliger Sklavenhalter friedlich und in Freundschaft miteinander spielen werden. Was ist aus seinem Traum, aus seinen Impulsen heute, ein halbes Jahrhundert später, geworden?
Washington 2018
- David Hogg, Emma Gonzáles und andere Jugendliche bei einer ersten Demo in Fort Lauderdale | Foto Barry Stock CC-BY-SA 2.0
Erst ungefähr zehn Tage ist es her, dass Emma González, David Hogg und etwa eine halbe Million andere, vorwiegend junge Menschen in Washington beim „March for our lives“ (was wir etwa mit „Demonstration für unsere Leben“ übersetzen können) die mächtige Waffenlobby NRA (National Rifle Association) herausgefordert haben – die größte Demonstration in der amerikanischen Hauptstadt seit Jahrzehnten. Unterstützung bekamen sie von Stars aus der Showszene, die der Demonstration den Charakter eines Festes für das Leben gaben. Junge Menschen in 800 weiteren Städten weltweit haben ihre Forderungen unterstützt.
Alle, die an diesem Tag vor dem Capitol gesprochen haben, waren jünger als 20 Jahre – alle haben sie eines der Schulattentate der letzten Zeit überlebt. Emma, die in wenigen Wochen das Gesicht der Kampagne geworden ist, an ihrer Schule in Florida im Februar dieses Jahres – ebenso David, einer der anderen Sprecher der Bewegung.
Im Anhören ihrer Reden habe ich mich gefragt, woher diese Jugendlichen die Kraft nehmen, so vor 500 000 Menschen und vor der Weltöffentlichkeit zu sprechen. Jeder von ihnen ist dem Tod in der eigenen Schule unmittelbar begegnet – jeder von ihnen hat Freunde oder Verwandte durch Attentate mit Schusswaffen verloren. Hinter jeder und jedem von ihnen steht mindestens einer dieser Toten. Wir können die Kernaussage ihrer Reden zusammenfassen in dem Satz: „Wir stehen auf für das Leben – gegen die, die für den Tod arbeiten“.
Die neunjährige Enkelin von Martin Luther King erinnert an die Worte ihres Großvaters. An der Hand einer älteren Schülerin betritt sie die Bühne. Sie ist die einzige, die selber kein Schulattentat überlebt hat – aber auch sie weiß um den gewaltsamen Tod ihres Großvaters.
- Emma | Public domain
Emma spricht als letzte, nennt die Namen der 17 Toten vom Februar und schweigt dann minutenlang. Ein paar Mal werden Parolen laut, mit ihrem Blick und ihrer Haltung, durch große Bildschirme für alle sichtbar, sorgt sie immer wieder für Stille. Erst zum Schluss erklärt sie: „Ich war jetzt 6 Minuten und 20 Sekunden auf dieser Bühne – so lange, wie der Attentäter geschossen hat.“ So lange hat es gedauert, bis ein 19-jähriger mit einer automatischen Waffe 17 Menschen getötet und viele andere verletzt hat. So lange haben die anderen Schüler*innen das Sterben ihrer Freunde miterlebt. So lange mussten sie ausharren ohne zu wissen, ob es auch sie treffen würde.
Link | Videos (engl.) der wichtigsten Reden auf der Website der Washington Post
Der Kampf um die Bürgerrechte
Bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren schwarze Bürger*innen in den USA vielfältigen rechtlichen Diskriminierungen ausgesetzt, in den Südstaaten galt eine strenge Rassentrennung.
- Rosa Parks und Martin Luther King (um 1955) | Public domain
Unmittelbarer Anlass einer Bewegung für Gleichberechtigung war 1955 die Weigerung von Rosa Parks, in Montgomery im Staat Alabama einen für Weiße reservierten Platz im Bus freizugeben. Sie wurde verhaftet und verurteilt. Der damals 26-jährige Martin Luther King wird zum Anführer der Proteste. 385 Tage bestreiken die Schwarzen die Busse, schließlich erklärt der Oberste US-Gerichtshof die Rassentrennung in den Bussen für verfassungswidrig. Ein erster Erfolg – aber es gibt auch immer wieder Niederlagen.
King ist zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt – schon im Januar 1956 wird das Pfarrhaus, in dem er mit seiner Familie wohnt, durch eine Bombe weitgehend zerstört – es kommt aber niemand zu Schaden. Bei Aktionen des zivilen Ungehorsams, aber auch bei kleinen Verkehrsverstößen wird er immer wieder verhaftet.
„Liebet eure Feinde“ – Martin Luther King und die Bergpredigt
Martin Luther King hat in seinen Aktionen immer das Prinzip der Gewaltlosigkeit nach dem Vorbild Gandhis vertreten. Als Baptistenpfarrer war er nicht nur Anwalt der Bürgerrechte sondern auch ein guter Prediger. Eindruckvoll erklärt er, welcher Liebe es bedarf, um sich Feinden zuwenden zu können. „Liebet eure Feinde“ ist ein hohes Ziel Jesu in der Bergpredigt – ich spreche lieber von einem Ziel als von einem Gebot.
Martin Luther King: „Liebt eure Feinde! Es ist fast unmöglich, manche Menschen gern zu haben. Wie könnten wir zärtlich zu einem Menschen sein, der uns schadet und uns immer wieder Steine in den Weg legt, unsre Häuser und unsre Kinder mit Bomben bedroht? das ist unmöglich. Jesu Befehl bezieht sich weder auf eros (romantische Liebe) noch auf philia (Freundschaft). Er meint agape, meint Verständnis und schöpferischen, vergebenden guten Willen für alle Menschen. Warum sollen wir unsre Feinde lieben? Vergelten wir mit Hass, so fügen wir einer ohnehin sternenlosen Nacht neue Finsternis hinzu. Hass kann den Hass nicht austreiben…“
King fügt hinzu, dass wir oft nur darüber nachdenken, was Hass dem Menschen antut, gegen den er sich richtet. „Hass ist aber auch für jenen Menschen verderblich, von dem er ausgeht. Wie ein Krebsgeschwür zerfrisst der Hass die Persönlichkeit, zerstört er den Sinn für menschliche Werte und Objektivität. Liebe stellt die einzige Kraft dar, die Feinde in Freunde verwandeln kann. Liebe verwandelt mit erlösender Kraft“ (zitiert nach M.L. King: Kraft zum Lieben, Konstanz 1968).
Die Kraft der Träume
Auch wenn die in Gesetzen festgelegt Diskriminierung der farbigen Amerikaner*innen 1964 durch den Civil Rights Act aufgehoben wurde, vieles sich verändert hat bis hin zur ersten Präsidentschaft eines farbigen Amerikaners, gibt es bis heute Benachteiligungen und Diskriminierungen im beruflichen und persönlichen Alltag. King wurde für sein gewaltloses Engagement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, einige Jahre später aber von einem rassistisch gesinnten Attentäter erschossen. Sein Traum lebt weiter und gibt Menschen Kraft, sich für ein gleichberechtigtes und gerechtes Leben einzusetzen.
Auch die jungen Menschen, die sich für das Leben und gegen die todbringende Logik der Waffenindustrie (Waffen für Lehrer*innen sollen jetzt ein neues Geschäftsmodell werden) einsetzen, sind von ihm inspiriert. Auch sie träumen einen Traum. Den Traum vom Leben, das sich dem Tod entgegenstellt.
1968 – das Jahr der Ermordung Martin Luther Kings – war ein Jahr des Aufbruchs, das Jahr der Studentenrevolte in Europa, das Jahr des Prager Frühlings, ein Höhepunkt im Einsatz gegen den Vietnam-Krieg. Die Jugendlichen haben dieser Tage angekündigt, dass der „March for our lives“ nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Bewegung ist: "We are the change".
Ich wünsche ihnen, dass sie die Kraft haben, ihren Träumen zu folgen und viele, auch ältere Menschen, auf diesem Weg mitzunehmen. Nicht wenige waren in Washington dabei, wie der Arzt, der sagte: „Ich habe in den letzten 35 Jahren so viele Schusswunden behandelt, ich musste heute einfach hier sein“.
Es ist Zeit für Träume – Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch.
Link | Videos (engl.) der wichtigsten Reden auf der Website der Washington Post (2018)
Link | „Ich habe einen Traum“ – Rede von Martin Luther King (1963)
- Martin Luther King am 28. August 1963 in Washington | Foto Public domain
Träume und Visionen für die Zukunft sind an Pfingsten unser Thema bei den Oldenburger Zukunftstagen. Der Titel lautet „Aufstand für das Leben“ | Oldenburger Zukunftstage