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THEMEN > UMWELT – NACHHALTIGKEIT – KLIMASCHUTZ

Der Ortolan singt (noch)

Auf der Roten Liste: Die letzten Ortolane Niedersachsens – Die junge klima-werkstatt berichtet

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Die junge klima-werkstatt auf Exkursion im Wendland: Hier führen uns engagierte Ornitolog:innen zu den letzten Beständen des Ortolans in Niedersachsen, eines Singvogels, für dessen Schutz sie sich – teilweise seit Jahrzehnten – einsetzen. Sie erläutern, welche Bedrohungen zu seinem Aussterben führen können. Artensterben und Klimawandel gehören zusammen – aber es gibt auch weitere Ursachen für die Gefährdung vieler Arten. Der besondere Aufwand für den Dreh hat sich gelohnt. Lasst euch überraschen!

Die letzten Ortolane Niedersachsens

Die junge klima-werkstatt erlebt im Laufe ihrer Förderung wunderliche Geschichten, die es zu erzählen gilt. Hier ist eine davon: Eine gute Begegnung war im vergangenen Februar die mit dem Ornithologen Jörg Grützmann in den Bornhorster Wiesen in Oldenburg. Jörg und andere Engagierte (damals noch mitunter sehr junge Menschen) haben vor mehr als 40 Jahren den Bau einer Straße erfolgreich verhindert.

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Klimaschutz oder Straßenbau? Gelingt die Rettung des Heidbrook heute wie die der Bornhorster Wiesen vor 40 Jahren? Straßenbau bedroht immer wieder wertvolle Naturgebiete – so auch in Oldenburg. Fazit von Lea, die den Beitrag moderiert: „Lasst gemeinsam Utopie zur Realität werden!“ März 2024 | Themenseite

Die junge klima-werkstatt erinnerte deswegen daran, um zu zeigen, dass sich Widerstand gegen kommunale Infrastrukturpolitik durchaus lohnen kann. Denn: Aktuell droht die Zerstörung des bedeutendsten Oldenburger Amphibienvorkommens durch den Bau einer Straße. Vielleicht lässt sich Geschichte am anderen Ende der Stadt wiederholen?

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Amphibienschutz ist Klimaschutz. Prof. Dr. Rainer Buchwald, Naturschutzbeauftragter der Stadt Oldenburg, spricht bei der Public Climate School 2023 über Naturschutz im Gebiet des ehemaligen Fliegerhorstes in Oldenburg. junge klima-werkstatt, Dezember 2023 | Themenseite

Bornhorster Huntewiesen

Durch den gesellschaftlichen Widerstand Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist dann in den Bornhorster Huntewiesen zügig ein 360 ha großes Naturschutzgebiet entstanden. Der niedersächsische Landesbetrieb für Wasserschutz, Küsten- und Naturschutz (NLKWN) schreibt dazu: „Die feuchten Grünländer haben eine hohe Bedeutung als Brutgebiet für bestandsbedrohte Wiesenvögel und als Rastgebiet für ziehende Gänse, Enten und Schwäne.“

Alle Ornithologenaugen leuchten, wenn der NABU schreibt: „Als Brutvögel kommen hier noch Weißstorch, Kiebitz, Feldlerche und Löffelente vor. Zudem können der Große Brachvogel, Rotschenkel, Uferschnepfe und Bekassine regelmäßig beobachtet werden.“

Und dieser fabelhafte Jörg Grützmann, mittlerweise im Ruhestand lebend und sein eigener Herr über seine Zeit, erzählt nebenbei bei den Dreharbeiten über den Widerstand von vor 40 Jahren und was das heute für uns bedeuten könnte, folgendes: Er erfasst und kartiert seit mehr als 20 Jahren in seiner Heimat Uelzen die mittlerweile letzten niedersächsischen Vorkommen von Ortolanen. Eine Studierende der Uni Oldenburg schriebe genau darüber ihre Masterarbeit.

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Vor Ort im Wendland im Gespräch mit Jörg Grützmann

Wendland

Er erzählt und die junge klima-werkstatt fragt nach. Als die letzten Aufnahmen gemacht waren, entstand der Plan, Jörg und die Studierende Annika Neumann in seine Heimat zu begleiten und darüber einen Film zu drehen: Über die letzten Ortolane Niedersachsens. Genauer gesagt im Wendland, im Landkreis Uelzen, also im östlichen Niedersachsen.

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Orto was? Noch nie gehört … Macht nichts. Auflösung folgt: Der Ortolan ist eine Vogelart aus der Familie der Ammern. Der Ortolan wird auch Gartenammer oder Fettammer genannt. Er ist ein xerophiler Bodenbrüter, also ein Vogel, der trockene und warme Lebensräume bevorzugt.

Mit Jörg und der Studierenden Annika Neumann verabredeten wir, uns im Mai zu treffen und dann zeigen uns diese Beiden jwd irgendwo zwischen herrlich uralten Rundlingsdörfern nachmittags die Naturräume, in denen Ortolane noch vorkommen. Warum im Mai? Weil die männlichen Ortolane dann so herrlich singen. Herr van Beethoven spielt dabei eine Rolle, doch von der erzählt Jörg in unserer Doku.

Am nächsten Morgen treffen wir uns schon sehr zeitig (es war echt sehr früh) an einer wunderbaren Eichenreihe mit dem Landschaftsplaner Lars Wellmann, der für den Landkreis Uelzen Schutzmaßnahmen für den Ortolan umsetzt, und mit Roland Klewwe, einem Freund Jörgs aus gemeinsamen Schulzeiten, der seine ornithologische Leidenschaft seit frühester Jugend teilt. Jörg und Annika sind natürlich auch mit dabei.

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Carlsson im Gespräch mit Annika Neumann, die ihre Masterarbeit über den Ortolan schreibt

Artensterben

Aktuell sind auf dem Planeten rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. In keinem anderen Lebensraumtyp gehen derzeit so viele Vogelarten im Bestand zurück oder sterben aus wie in unserer Agrarlandschaft. Ehemals häufige und weit verbreitete Arten wie Feldlerche, Rebhuhn oder Kiebitz erreichen heute nur mehr einen Bruchteil früherer Bestandsgrößen, regional sind sie bereits ganz verschwunden. Der Ortolan gehört zudem auf europäischer Ebene zu den sechs Vogelarten mit höchster Priorität für extensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen, d. h. zu jenen Arten, deren europäische Populationen zu mehr als 75 % Lebensräume auf solchen Flächen siedeln und deren Überleben daher besonders stark von den Entwicklungen in diesen Biotopen abhängt.

Der Ortolan leidet u.a. wegen des verstärkten Anbaus von Wintergetreide, der zum Verlust von Neststandorten durch zu dichten Halmstand führt. Auch der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und damit der Zerstörung der Nahrungsgrundlagen durch immer weniger Insekten, setzt der Art zu. Deswegen ist Lars Wellmann im Landkreis Uelzen seit Jahren mal mehr, mal weniger erfolgreich mit Landwirten z.B. darüber im Gespräch, Getreide lückiger auszusäen, damit die Ortolane durch größeren Halmstand besser ihre Eier legen können. Auch werden Landwirte dafür gefördert, Eichen zu pflanzen, denn die Eiche ist des Ortolans Lieblingsbaum.

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Lea im Gespräch mit Landschaftsplaner Lars Wellmann

Rote Liste

Rasche, lokal oder flächig teilweise dramatische Bestandsabnahmen des Ortolan in seinen Brutverbreitungsgebieten führten dazu, dass die Art als stark gefährdet in die Roten Listen der gefährdeten Brutvogelarten Deutschlands bzw. Niedersachsens aufgenommen wurden. Nicht zuletzt ist der Ortolan in Anhang 1 der Europäischen Vogelschutzrichtlinie verzeichnet, in dem Arten stehen, für die "Besondere Schutzgebiete" auszuweisen sind. Niedersachsen hat im Zuge der Aktualisierung der Vogelschutzgebiete dieser Verpflichtung Rechnung getragen und mehrere Gebiete gemeldet, die herausragende Bestände des Ortolans und weiterer Vogelarten der Agrarlandschaft aufweisen.

Rote Listen sind die Fieberthermometer des Naturschutzes. Sie sind Verzeichnisse der gefährdeten, verschollen und ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten, Artengesellschaften, Biotoptypen oder Landschaften.

Klimakrise

Die Empfindlichkeit der Ortolanpopulation gegenüber negativen äußeren Einflüssen muss deshalb als erhöht eingestuft werden, da heute nur noch ein kleineres Areal besiedelt ist und auch die Vielfalt an besiedelten Habitaten, Landschaftsräumen und Ökotypen abgenommen hat. Ziel von Schutzmaßnahmen muss beim Ortolan daher vor allem sein, in den Kernräumen tatsächliche sogenannte Source-Populationen zu erhalten von denen aus eine Wiederbesiedlung früherer Arealbereiche möglich wird.

Doch genau das ist schwierig, denn der Zugvogel, der im subtropischen Afrika nördlich der Sahelzone im Bereich südlich von Marokko und in Äthiopien überwintert, muss sich auch noch mit den Auswirkungen der Klimakrise auseinandersetzen: Mit längeren Hitze- und Trockenphasen kommt er gut zurecht. Doch extreme Regenereignisse schwemmen die auf dem Boden liegenden Eier weg oder die ausgebrüteten Jungvögel ertrinken.

Speisekarte

Was für den Ortolan auch noch lebensbedrohend ist: Jährlich werden 30.000 der bedrohten Singvögel in Frankreich illegal getötet. Ortolane gelten vor allem in der Gegend um Bordeaux als Delikatesse. Mit Folgen für den ohnehin stark zurückgehenden Bestand der Art. Kein anderer europäischer Sperlingsvogel hat so schnell innerhalb der letzten Jahrzehnte im Bestand abgenommen wie der Ortolan mit einem Gesamtrückgang von 84% seit 1980. Und das, obwohl die Jagd seit 1999 durch französische Gesetze verboten ist. Da jedoch der Ortolan auf der Speisekarte als kulturelle Tradition betrachtet wird, waren die Behörden bisher bereit, ein Auge zudrücken, um die Aktivitäten der Wilderer zu übersehen. Auch dazu mehr von Jörg in unserer Doku.

Schutzmaßnahmen

Schon 2002 hat Jörg Grützmann in einer Publikation der Staatlichen Vogelschutzwarte im Niedersächsischen Landesamt für Ökologie zusammen mit Volker Moritz, Peter Südbeck und Dieter Wendt in einem Aufsatz folgende Empfehlungen abgegeben, die dem Ortolan helfen würden: u.a. Verzicht auf Flächenzusammenlegungen, Sicherung kleinparzellierter Ackerflächen, Förderung der Neuanlage kleiner, extensiv genutzter Ackerflächen, Integration der Schutzmaßnahmen in das Ackerrandstreifenprogramm, Erhöhung des Bracheflächenanteils in Ortolan-Siedlungsgebieten, Erhalt und Neuanlage von Wildkrautstreifen entlang von Ackerrändern, Steigerung der Flächenanteile, die von Betrieben des ökologischen Landbaus bewirtschaftet werden, Steigerung des Flächenanteils von Sommergetreide, vor allem Sommerroggen, Steigerung des Flächenanteils von Hafer, Reduzierung des Pestizideinsatzes, Reduzierung der Anbauflächen von Mais, Spargel oder Erdbeeren in Ortolan-Siedlungsgebieten, Rückführung der flächenhaften Eutrophierung, Reduzierung des Düngeaufkommens, Reduzierung der Feldberegnung durch Großregner (Anwendung nur bei extremer Trockenheit), Erhalt von Laubbäumen, Ersatz abgängiger Alleebäume und Ergänzungspflanzungen in Alleen, Neuanpflanzung von exponierten Einzelbäumen und Neuanlage von Obstwiesen und Obstbäumen an Straßen.

Trotz dieser Empfehlungen sind die Bestände weiter gesunken. Wohlmeinend formuliert haben sie sich (noch) gehalten.

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In der Natur muss es genügend Nahrungshabitate geben, damit Singvögel wie der Ortolan leben können.

Singgemeinschaft

Der Ortolan ist wie beschrieben ein Bodenbrüter. Er benötigt als Gesangswarten aber hohe Bäume. Typischerweise besiedelt er Ackerflächen mit angrenzenden Baumreihen, Baumhecken oder Feldgehölzen, in denen sich die Singwarten befinden. Und so lauschten an genau so einer Reihe von Eichen wir alle gemeinsam frühmorgens einer Singgemeinschaft von mehreren männlichen Ortolanen.

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Der Ortolan ist ein Bodenbrüter und stark gefährdet, wenn er die notwendigen Plätze nicht findet.

Spannend für uns Laien zu beobachten, wie die vier uns begleitenden Ornitholog:innen verschiedene Vögel aus unterschiedlichen Entfernungen an ihrem jeweiligen Gesang unterscheiden. Um sie mit bloßem Auge zu erkennen bedarf es der geduldigen Unterstützung von Jörg, Lars, Annika und Roland. Und es bedarf einer gehörigen Portion Glück, dem Gesang der Ortolane tatsächlich zu lauschen und sie auch zu sehen: Wir wurden belohnt. Freut euch auf die Bilder und die Interviews in unserer Doku.

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Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Oldenburg OAO

Jörg Grützmann ist Ansprechpartner der Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Oldenburg OAO, die unter dem Dach des Nabu arbeitet und seit 1922 aktiv ist | Website

Projekt und Förderer

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Die junge klima-werkstatt ist ein Projekt unter dem Dach von Werkstatt Zukunft in Kooperation mit Oldenburg eins und weiteren Bürgersendern.
Die junge klima-werkstatt wird als Preisträgerin des Jugend-Klima-Wettbewerbs gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Kooperation mit der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen (KEAN) und der NBank.

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