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THEMEN > FRIEDEN – GERECHTIGKEIT – EINE WELT

Frieden schaffen – Es liegt an uns

Von Andreas Büttner, Weihnachten 2018

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„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – Unter dieses Wort Martin Bubers (1878 - 1965), des bedeutenden jüdischen Religionsphilosophen, möchte ich diese Betrachtung zu Weihnachten stellen. Frieden entsteht da, wo wir anderen Menschen wirklich begegnen. Dort, wo das Leben wirklich wird.

In der Weihnachtsgeschichte und damit auch im Krippenspiel, für das wir in diesen Wochen mit vielen Kindern intensiv und mit großem Spaß geprobt haben, finden fortwährend Begegnungen statt: Der Engel begegnet Maria, Maria begegnet Joseph, mit dem sie sich auf die Reise nach Bethlehem begeben muss. Dort begegnen sie Wirten – guten und bösen. Schließlich ist auch die Geburt eines Kindes immer eine ganz neue, spannende Begegnung – mit einem Menschen, den wir erst im Laufe des gemeinsamen Lebens kennenlernen werden. Die Hirten begegnen dem Kind…

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – und wie oft gehen wir an anderen Menschen vorbei, ohne ihnen wirklich zu begegnen? Sehen sie, hören von ihnen und haken sie mit einem Vorurteil ab? Oder ignorieren sie gleich ganz.

Wirkliche Begegnung ist immer auch ein Geschenk. Die Frage ist bloß: Sind wir offen dafür? Zwei Staatsmänner, deren 100. Geburtstag wir in diesen Tagen gedenken, haben einmal eine solche Begegnung miteinander gehabt und dabei ein Gespräch über Religion geführt, dass sie verändert hat: Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (*23. Dezember 1918) und der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat (*25. Dezember 1918).

Schmidt berichtet über dieses Gespräch, das in der Silvesternacht 1977 in privatem Rahmen nach einem Staatsbesuch stattgefunden hat (Die Zeit, Nr. 41/1983):

Eine Fahrt auf dem Nil, von Luxor nach Assuan, werde ich mein Leben nicht vergessen. Wir saßen an Deck unter einem unglaublich klaren Nachthimmel. Sadat erzählte von Jerusalem, von Begin und Dajan, von Golda Meir. [Dort war er kurz vorher zu einem Staatsbesuch gewesen, um den Friedensschluss mit Israel gegen den erbitterten Widerstand der anderen arabischen Staaten vorzubereiten.] Vor allem aber redeten wir darüber, wie zum Friedenstiften der Wille zum Kompromiss gehört und ebenso das Verständnis für die Motive des anderen.

Sadats Friedenswille gründete in seinem Verständnis für die Religionen der anderen. Von ihm habe ich gelernt, Lessings Ringparabel aus dem Munde Nathans des Weisen voll zu begreifen […] | Helmut Schmidt in „Die Zeit“ – 1983

Karl-Josef Kuschel, Wegbegleiter Hans Küngs und wie er Theologieprofessor in Tübingen und langjährig im Interreligiösen Dialog engagiert, schreibt in der diesjährigen Weihnachtsausgabe von Publik-Forum über dieses Gespräch:

Es ist ein Gespräch, das man von Schmidt so gar nicht erwartet. Es passt nicht zu dem Image, das viele ihm als rein funktionalem Macher verpasst haben. Deshalb ist es vielen auch unbekannt. Er selbst aber hat immer wieder öffentlich von seiner Begegnung mit Sadat berichtet, von diesem Gespräch über Religion, wie es einmaliger und bedeutender kaum sein könnte. Es hat Schmidt verändert. Auf eine Weise, wie es viele Menschen heute verändern könnte.

Er schreibt im dritten Band seiner Memoiren über Sadat die Sätze: »Niemals vorher oder nachher habe ich mit einem ausländischen Staatsmann derart ausführlich über Religion gesprochen. Ich habe ihn geliebt. Wir waren bis auf zwei Tage gleichaltrig. Unsere nächtliche Unterhaltung auf dem Nil gehört zu den glücklichsten Erinnerungen meines politischen Lebens.« Und wenn schon Helmut Schmidt zu so einem öffentlichen Liebesbekenntnis fähig ist, dann muss wahrhaftig etwas passiert sein unter dem Sternenhimmel Ägyptens. […]

Kuschel fügt hinzu:

Schmidt merkt: Es gilt, die eigene Ignoranz zuzugestehen und zu bekämpfen. So wird er ein Kronzeuge interreligiösen Lernens par excellence. Und das haben viele in unserem Lande heute noch vor sich! Deshalb finde ich dieses Gespräch so bedeutend. Es setzt Maßstäbe für das Miteinander, das wir in unserer Gesellschaft dringend brauchen | Karl-Josef Kuschel in „Publik Forum“ – 2018

1977 – Es ist das gleiche Jahr, in dem Ibrahim Abouleish nach einer langen Zeit des Studierens und erster Berufserfahrung als Chemiker in Europa in sein Heimatland Ägypten zurückkehrt und „Sekem“ gründet – biologisch-dynamische Landwirtschaft am Rande der Wüste und zugleich ein Ort vielfältiger kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Initiativen. Begegnungen mit Menschen In Europa, mit seiner späteren Ehefrau, mit anthroposophisch engagierten Menschen, haben diese Initiative überhaupt erst ermöglicht.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ In Sekem arbeiten heute nicht nur rund 2000 Menschen, es ist auch ein Netzwerk von 800 biologisch-dynamisch wirtschaftenden Landwirten in Ägypten entstanden, ein Kindergarten, eine Schule, eine Poliklinik, eine Universität. Ein Projekt, das in seiner Weise einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben im Land selber leistet, aber auch zu einem fairen Miteinander in der Welt beiträgt.

Werkstatt Zukunft hat darüber mit Schüler*innen der Liebfrauenschule in Oldenburg eine Fernsehsendung erstellt und zusätzlich ein Interview mit Ulrich Walter, einem langjährigen Wegbegeliter und Geschäftspartner von „Sekem“ geführt:

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Fairer Handel: Nachhaltigkeit in der ägyptischen Wüste. Das Projekt „Sekem“ als Beispiel für neue Ansätze fairen Handelns. Schüler*innen der Liebfrauenschule stellen es im Gespräch mit Ulrich Walter (Lebensbaum) und weiteren fairen Fachleuten vor.
Dezember 2016 | Themenseite

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Fair Trade - Auf eine Tasse Tee mit Ulrich Walter (Lebensbaum). Der erfolgreiche Unternehmer plädiert für einen Kulturwandel: Nicht kurzfristiger finanzieller Erfolg soll für die Beurteilung von Unternehmen maßgeblich sein, sondern Nachhaltigkeit. Fair Trade als Stachel im Fleisch der Wirtschaft | Video

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“

Frieden schaffen – Es liegt an uns, wie wir anderen Menschen begegnen. Jede wirkliche Begegnung mit anderen Menschen – gleich aus welchem Kulturkreis sie stammen oder wie sie leben und denken – ist ein Beitrag dazu.


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