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Fairtrade Schule: Lehrerfortbildung mit Werkstatt Zukunft regt zum Nachdenken an

Von Barthel Pester, Mai 2018

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„Der Funke ist damals auf mich übergesprungen. Das ist ein Thema, das kannst du mit Schülerinnen und Schülern, mit Kolleginnen und Kollegen und auch mit Eltern umsetzen. Das ist eine Arbeit, die macht mir persönlich sehr viel Freude. Und die damals beteiligten Kinder und Jugendlichen waren sofort Feuer und Flamme und haben engagiert mit gemacht. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, erklärt, was Fairtrade ist, welche Auswirkungen unser Handeln auf das Leben der sogenannten Dritten Welt hat und dann ging es los,“ erzählt lächelnd Astrid Reichert-Pahlke, Lehrerin an der Oldenburger Liebfrauenschule.

Damals ist lange her. 31 Jahre schon. 1986 hat sie den Eine-Welt-Laden gegründet. Und seit 2017 ist die Liebfrauenschule Fairtrade-Schule, die erste Oldenburgs. So lange gedeiht der Faire Handel in dieser Schule und wird mittlerweile von der vierten Generation Schülerinnen und Schülern im Eine-Welt-Laden gelebt. Die Generation der Gründerinnen und Gründer ist längst selber Eltern, auch ihre Kinder gehen in die Liebfrauenschule, die Familien verbindet faires Handeln. Fairtrade hat in der Liebfrauenschule Tradition. Seit 1986.

Im Herbst 2016 wurde Werkstatt Zukunft in die Schule eingeladen, im Rahmen eines zweitägigen Workshops mit Unterstützung von erfahrenen Referentinnen und Referenten grundlegende Kenntnisse zum Thema „Fairer Handel“ zu vermitteln. Daraus entstand eine schulöffentliche Veranstaltung mit mehr als hundert Gästen, die von Kameras aufgezeichnet wurde, und unterschiedliche Themen, Perspektiven und Gesprächspartner zum Fairen Handel präsentierte.

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Fairer Handel: Nachhaltigkeit in der ägyptischen Wüste. Das Projekt „Sekem“ als Beispiel für neue Ansätze fairen Handelns. Schüler*innen der Liebfrauenschule stellen es im Gespräch mit Ulrich Walter (Lebensbaum) und weiteren fairen Fachleuten vor.
Dezember 2016 | Themenseite


Das Engagement für den Fairen Handel war schulintern damit auf eine noch breitere Basis gestellt und die Gesamtkonferenz sprach sich mehrheitlich für den Antrag aus, dass sich die Liebfrauenschule auf den Weg machen sollte, Fairtrade-Schule zu werden. Nach der Ernennung zur Fairtrade-Schule wurde deutlich, dass im Kollegium nicht unbedingt Konsens darüber bestand, welche Konsequenzen diese Entscheidung mit sich bringen würde.

Die Diskussion im Schulteam ergab, dass die Befürworter des Fairen Handels es wohl nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung zu tun hatten, sondern die sich andeutenden Unstimmigkeiten in Bezug auf die schulinterne Umsetzung des Themas auf zu wenig Informationen, das Thema betreffend, beruhten.

Doch schnell kam das Kollegium zu der Überzeugung, dass eine schulinterne Lehrerfortbildung (SCHILF) Abhilfe bringen könnte. Alle waren sich einig, dass bei einer solchen Fortbildung Information, aber auch Spaß eine große Rolle spielen sollten, damit die Kolleginnen und Kollegen zum Mitmachen motiviert würden. Da die Liebfrauenschule die Projektarbeit von Werkstatt Zukunft bereits sehr positiv erlebt hatte, sah das Schulteam hier den geeigneten Partner für das Vorhaben.

Die SCHILF eröffnete die Transfair Referentin Angelika Boden aus Leer, die in den Fairen Handel einführte und aufzeigte, wie sich der Faire Handel in Deutschland entwickelt hat. Angelika Boden erklärte die Unterschiede zwischen den Handelssystemen, Fairtrade-Produktsiegel und den Importorganisationen des Fairen Handels. Anschließend erläuterte sie die aktuellen Kriterien und Standards, nach denen Fairtrade-Produkte produziert, verarbeitet und gehandelt werden. Die im Anschluss an den Vortrag eingeplante Zeit für Fragen der Zuhörenden wurde rege genutzt. Auch während des anschließenden fairen Frühstücks wurde munter zum Thema diskutiert. So wurden weitere Aspekte des Fairen Handels gezielt vertieft. Nach dem fairen Frühstück teilte sich das Kollegium in sechs Workshops auf.

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Nach einer thematischen Einführung stimmte die Bildungsreferentin Anne Kress mit einer kreativen Übung auf neue faire Vorhaben ein und gab einen Überblick zu Fairtrade im Tourismus. Klassenfahrten suchen zwar nicht in erster Linie Länder des Südens als hauptsächliche Zielländer des fairen Tourismus auf. Dennoch sind dessen Ziele für einen respektvollen Umgang mit der Umwelt, anderen Mitmenschen und sich selbst gegenüber auch auf faire Klassenfahrten übertragbar.

In zwei Gruppen erarbeiteten die Workshopteilnehmenden Ideen für eine faire Klassenfahrt. Dabei wurde intensiv diskutiert, ob Ziele nun vor allem mit dem ÖPNV anzusteuern sind oder auch bei weiteren Strecken geflogen werden kann. Vor allem über das inhaltliche Programm einer Klassenfahrt und die Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern über die mit der Fahrt verbundenen Ziele wurde angeregt gesprochen. Zugleich stellten die beiden Gruppen fest, dass manches in Richtung Nachhaltigkeit schon praktiziert wird, wie Fahrten auf die nahen Inseln in der Nordsee mit entsprechendem Angebot. Es ist beabsichtigt Kriterien zu entwickeln, wie faire Klassenfahrten weiter Fahrt aufnehmen können.

Im Workshop mit Henning Osmers-Rentzsch, Leiter Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement von Lebensbaum, einem Hersteller von Kaffee, Tee und Gewürzen in Bioqualität, wurde in intensiver Diskussion die Frage thematisiert, wie sich in internationalen Lieferketten soziale und ökologische Standards umsetzen lassen. Welche Rolle spielt der Fairtrade-Aspekt in dem umfassenderen Kontext einer nachhaltigen Entwicklung? Was sagen Bio- und was sagen Fairtrade-Siegel aus? Was sind die Chancen von Zertifizierungen und Siegeln und wo liegen ihre Grenzen?

In der aktiven Gesprächsrunde wurden am Beispiel des Tees und Kaffees von Lebensbaum Möglichkeiten und Grenzen des sozialen und ökologischen Handelns von Unternehmen erörtert und Bezüge zu politischen Rahmenbedingungen hergestellt. Schließlich wurde darüber gesprochen, was Konsumentinnen und Konsumenten tun und woran sie sich bei ihren Einkaufsentscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeit orientieren können.

Der Referent im Bioeinzelhandel, Christoph Gerhard, betitelte seinen Workshop „Bio und Fair, Versuch einer Differenzierung“. Und diese sah aus wie folgt: Anhand von zwölf verschiedenen Schokoladentafeln aus dem Discount, Supermarkt, Bioladen und Weltladen sollten die Workshop-Teilnehmenden Merkmale zur Unterscheidung herausarbeiten. Wie viel Fair und wie viel Bio steckt in den einzelnen Tafeln?

Hilfestellung gaben die verschiedenen offiziellen Siegel für fairen Handel (Fairtrade u.a.) und Bioanbau (EU Bio-Siegel u.a.) und weitere Angaben der Hersteller. Hintergrundinformation unterstützten die Beurteilung, welche der Produkte zu den drei Kategorien eingeordnet werden können: Bio, Fair oder Bio&Fair. Diese Kategorisierungen bei Schokolade und Kakao stehen stellvertretend für viele Produkte aus dem „globalen Süden“. Echte Nachhaltigkeit entsteht nur im Zusammenspiel von fairen Arbeitsbedingungen und biologischem Anbau, Sozialem und Ökologie.

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Jabber Mohammed Abdul aus Bangladesch warf einen sehr persönlichen Blick auf sein Heimatland, das er sehr eindrücklich beschrieb. Er schilderte seine eigene Kindheit in einem kleinen Dorf und wie nahezu unüberwindbar die Hindernisse sind, um über Schulbildung mehr Möglichkeiten für ein besseres Leben zu erreichen.

Weil immer mehr Menschen auf immer weniger Raum in kleinbäuerlichen Betrieben immer größerer Armut ausgesetzt sind, ziehen immer mehr Menschen in die Hauptstadt Dhaka, um in den Textilfabriken ein vermeintlich erträgliches Auskommen zu verdienen. Dass die Löhne für ein besseres Leben kaum reichen ist das Eine, doch die gesundheitliche Gefährdung durch die Arbeit und der psychische Druck der Arbeitgeber auf die Heerscharen von zumeist Frauen in den Textilfabriken führt dazu, dass sich die Gesellschaft Bangladeschs immer stärker verändert: Die Familienbünde lösen sich auf.

Jabber Mohammed Abdul bewegt sich in dem Zwiespalt einerseits diese katastrophalen Arbeitszustände kategorisch abzulehnen, andererseits empfiehlt er Textilien, die in Bangladesch hergestellt worden sind, hier in Deutschland zu kaufen, um die Arbeitsplätze zu sichern, wohl wissend, dass sie den Menschen nachweislich schaden.

Judith Busch, Referentin von FIAN Deutschland „Mit Menschenrechten gegen den Hunger“, erinnerte daran, dass die Menschenrechte im internationalen Recht fest verankert sind und heute als einziges weltweit anerkanntes Wertesystem gelten. Nichtsdestotrotz werden täglich elementare Grundrechte weltweit verletzt.

Durch den Fairen Handel werden Menschenrechte geschützt. Im Workshop „Menschenrechte gegen den Hunger“ wurde über den Zusammenhang von Fairem Handel und Menschenrechten diskutiert. Einen Fokus legte der Workshop dabei auf das Menschenrecht auf Nahrung. Gemeinsam wurde in Kleingruppen überlegt, was Menschenrechte sind, und wann das Menschenrecht auf Nahrung erfüllt ist.

Ziel dieses Workshops war es zu verstehen, dass das Menschenrecht auf Nahrung nicht nur über Quantität definiert wird. Qualität, kulturelle Akzeptanz, Verfügbarkeit, Zugang und Nachhaltigkeit stellen ebenso Kriterien des Rechts auf Nahrung dar. Abschließend wurde andiskutiert, durch welche Entwicklungen das Recht auf Nahrung verletzt wird und wo dieses Menschenrecht uns im Alltag begegnet.

Kerstin Lanje, Referentin für Welthandel und Ernährung bei Misereor, leitete den Workshop „Faire Milch? UN-Nachhaltigkeitsziele und die EU-Exportorientierung – ein Widerspruch? Das Beispiel EU Milchpulverexporte nach Burkina Faso“. Die aktuelle EU-Politik, die eine ungebremste Milcherzeugung stimuliert, schadet den europäischen Erzeugern und dem gesamten ländlichen Raum immens.

Die negativen Folgen dieser Politik erfassen zudem insbesondere auch Bäuerinnen und Bauern in sogenannten Entwicklungsländern. Hohe Milchüberschüsse drücken die Preise weltweit und vernichten kontinuierlich bäuerliche Existenzen. Vor dem Hintergrund der großen EU-Überschussproduktion und dem daraus resultierenden Ungleichgewicht zwischen der EU und vielen Entwicklungsländern, hier insbesondere Westafrika, ist der Abschluss von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA), welche eine weitere Handelsliberalisierung zwischen beiden Akteuren zum Ziel haben, problematisch und nicht empfehlenswert.

Notwendig ist daher: a) Die Stabilisierung der eigenen Binnenwirtschaft, indem über angemessene Milchpreise EU-weit Milchproduktionsstandorte erhalten bleiben und b) die Verhinderung von Überproduktion in der EU, um das Wachstum in Drittländern nicht zu gefährden. Erzeuger in Entwicklungsländern können so ihre Milchwirtschaft entwickeln, ihre Produkte absetzen und ein Einkommen erwirtschaften. Armut, Migration und Hunger werden so reduziert. Im Anschluss an dem Vortrag von Kerstin Lanje wurden diese Themen diskutiert und nach Lösungsmöglichkeiten hier und auf politischer Ebene gesucht.

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Stellvertretend für das Kollegium der Liebfrauenschule zogen Astrid Reichert-Pahlke und Florian Buschermöhle ein Resümee dieser SCHILF zum Fairen Handel: „Die ganztägige Veranstaltung vom 5. Februar 2018 ist vom Kollegium sehr positiv bewertet worden. Es gab viel Lob für die Gesamtplanung, die Durchführung und das Catering. Viele Kolleginnen und Kollegen artikulierten ihre Motivation, am Thema arbeiten zu wollen und den Gesamtprozess positiv zu unterstützen. Einzelne kamen einen Tag nach der Fortbildung bereits mit konkreten Ideen auf uns zu, wie z. B. die Schülerinnen und Schüler bei einem Fairtrade Schulwettbewerb aktiv zu unterstützen. Die Ideensammlung im World Café wird die Strukturierung unserer weiteren Vorhaben sehr erleichtern und hat uns viele Ideen mit auf den Weg gegeben, welche Themen wir in der nahen Zukunft angehen wollen. Wir gehen also fair voran und das ist echt klasse.“

Bereits im kommenden Schuljahr plant die Liebfrauen in einem Pilotprojekt einen vernetzten Fachunterricht zum Thema Fairer Handel, bei dem über ein Schulhalbjahr hinweg fächerübergreifend an der Thematik gearbeitet werden soll.


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