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Reformation heute: Es geht nicht mehr um die Kirche – es geht um das Leben

Von Andreas Büttner, Oktober 2017

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Luther und die Reformation im historischen Kontext

Seit dem Jahr 1215 wurde auf allen Konzilen der lateinischen (westlichen) Kirche über die ‚causa reformationis’, die Sache der Reformation, über die notwendige Erneuerung der christlichen Kirche, debattiert. Nach 302 Jahren des Redens kam einer, der dem Taten folgen ließ: Martin Luther veröffentlichte am Vorabend des Allerheiligentages 1517 seine 95 Thesen zur Reformation der Kirche – schlug sie an der Schlosskirche zu Wittenberg an.

Es fand zwar gerade kein Konzil statt, aber an Allerheiligen pflegte die Geistlichkeit über theologische Fragen zu debattieren – so auch in Wittenberg. Der Augustinermönch und Professor der Theologie hatte den Tag der Veröffentlichung strategisch gut gewählt. Und seine Thesen schlugen ein. Luther wird zum Dreh- und Angelpunkt der Jahrhunderte dauernden Auseinandersetzung um die Gestaltung der Kirche: Nicht mehr, aber auch nicht weniger als das.

Schnell jedoch verbanden sich religiöse Fragen mit Herrschaftsfragen – sowohl politischen als auch wirtschaftlichen. Und es geschah, was Luther nicht beabsichtigt hatte: Die Einheit der westlichen Kirche zerbrach. Die Einheit zwischen Ost- und Westkirche war schon Jahrhunderte zuvor zerbrochen und mit dem gegenseitigen Bann von Papst und Patriarch im Jahr 1054 endgültig besiegelt (aufgehoben 1965).

Fanatismus auf allen Seiten, Krieg, Mord und Totschlag ließen nicht lange auf sich warten – angefangen mit den Bauernkriegen, in denen Luther die Seite der ihn schützenden Fürsten wählte.

Der lange Weg zur Freiheit

Hundert Jahre nach der Reformation stand Europa am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Die Fürsten hatten sich zur Protestantischen Union (1608) auf der einen, zur Katholischen Liga (1609) auf der anderen Seite zusammengeschlossen. Und ein Jahr nach dem hundertsten Jahrestag des Thesenanschlags brach der Konflikt 1618 offen als Krieg aus, der Europa in weiten Teilen verwüstete.

Dreißig Jahre später wurde im Westfälischen Frieden bestätigt, dass der jeweilige Landesherr über die Konfession seiner Untertanen zu entscheiden hatte. Aber es wurde zugleich ein erster Schritt zur Religionsfreiheit getan: Wer sich der Entscheidung seines Landesherrn nicht beugen wollte, durfte das Land unter Mitnahme seines Hausstandes und seines Vermögens verlassen und sich dort ansiedeln, wo ihm die Religion besser passte.

Die Gewissensfreiheit jedes Menschen – im Denken der Reformatoren angelegt – führte schließlich zur Religionsfreiheit jedes einzelnen, unabhängig von Ort und Herrschaft. Schließlich waren auch Gemeinschaften außerhalb der Staatskirchen frei von Verfolgung und Repression möglich und die Juden, die auch von den Reformatoren nach mittelalterlicher Tradition weiterhin ausgegrenzt wurden, erhielten trotz fortbestehender Anfeindungen im Laufe des 19. Jahrhunderts volles Bürgerrecht.

Kirche und Leben

Bis zum 400. Jahrestag der Reformation im Jahr 1917 – die Menschheit war im ersten Weltkrieg gefangen und die Protestanten im Deutschen Reich feierten den ‚deutschen’ Luther – wurden die Jubiläumsjahre immer zur Abgrenzung der Kirchen untereinander genutzt, zur Pflege der alten Feindschaft.

So sehe ich im Bemühen der evangelischen und katholischen Christen um das gemeinsame Feiern des 500. Jubiläums einen erfreulichen Fortschritt. Im Blick auf die Verwerfungen, die heute unser Leben im globalen Zusammenhang ebenso wie in den sozialen Problemen vor Ort bedrohen, sollten wir uns die Beschäftigung der Kirchen und Religionen mit sich selbst nicht mehr leisten. Die ‚causa reformationis’ betrifft heute nicht mehr nur Kirche und Religion – sie betrifft unser Leben insgesamt.

Die Zukunft gestalten: Freiheit und Verbindlichkeit

Der Einsatz für eine Welt, in der allen Menschen ein ‚gutes Leben’ möglich ist – im Einklang mit den Grenzen, die uns die Natur unseres Planeten setzt – ist jenseits aller Unterschiede, die Konfession oder Religion bedeuten mögen, eine große Gemeinschaftsaufgabe. Der Einsatz für die Zukunft der Erde mag für den einzelnen von seiner Religion her motiviert sein oder nicht, darauf kommt es heute nicht mehr an.

Worauf es ankommt ist, dass wir die Aufgaben des gegenwärtigen Augenblicks gemeinsam erkennen und ergreifen. Das ist der Ertrag der Freiheit, die wir seit Jahrhunderten erkämpft haben. Dann gehen Freiheit, Verantwortung und Verbindlichkeit zusammen.

Foto Pixabay, CC0


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